Holger Saarmann: Phantomzeit, Silberblick Musik, www.holger-saarmann.de (GH)

Liedermaching:

Holger Saarmann kommt aus Hagen, aber das Schicksal hat ihn nach Berlin verschlagen, macht ja auch nix. Dort schreibt er also seine Lieder, und wie er das tut! Er hat Christof Stählins SAGO-Akademie absolviert und das merkt man. Nicht, dass er irgendwie epigonenhaft wäre oder so, typisch aber ist der Umgang mit Wörtern, wie er sie auf den Kopf stellt und ihnen einen neuen Sinn entlockt, wie er Redensarten entlarvt, und wie er sich bei allem virtuos auf allerlei Instrumenten begleitet, nennen wir hier nur Gitarre, Mandoline und Akkordeon.

Die meisten Lieder sind von ihm, aber zwei alte Lieblinge gesellen sich dazu, Heines Lore-Ley und „Hoch auf dem gelben Wagen“ von Rudolf Baumbach. Man hätte meinen können, dieses Lied wäre für die nächste hundert Jahre von einem Bundespräsidenten nachhaltig zersungen, aber Holger Saarmann macht sich einfach eine andere Melodie, die sich wenig zum Schunkeln eignet, und zeigt, was für ein poetischer, feiner Text es eigentlich ist.

Die eigenen Texte unseres Hagener Freundes, ach, auch die ein Genuss … so besingt er das Abenteuer (wie einst Christof Stählin, nur eben auf seine eigene Weise), erzählt, dass er früher Enid Blyton gelesen hat (sehr gut, wo sie doch gerade mal wieder als nicht politisch korrekt kritisiert wird), legt die Beichte des Minnesängers ab.

Ach, das ist alles so klug, so schön, so voller Herzensbildung. Mehr davon und zwar schnell!

Holger Saarmann: Phantomzeit, Silberblick Musik, www.holger-saarmann.de (GH)

Phantomzeit

Mag es uns auch nicht behagen:

Irgendwann, in fernen Jahren

werden junge Menschen fragen,

wer wohl ihre Ahnen waren:

Wie wir sprachen, wie wir dachten,

wie wir abseits großer Schlachten

wohl die Lebenszeit verbrachten,

weshalb wir ihnen nichts vermachten

 

außer Plastikapparaten –

Was wir wohl mit denen taten,

können Forscher nur noch raten:

Längst verblasst sind all die Daten,

die wir durch Glasfaserkabel

um die Welt gesendet haben.

Doch erweist, wonach sie graben,

sich als stets irreparabel.

 

Was unsre Vorfahren erschufen,

das Werk, zu welchem sie berufen

war’n, lässt halbwegs sich erschließen

aus all dem, was sie hinterließen.

Bis hin zu Rom, Athen, Ägypten:

Es zeugt ein Reichtum an Relikten

von den Hochkultur’n, den alten –

aus unsrer Zeit ist nichts erhalten,

 

bis auf die seltsamen Geräte

im bunten Schutt verlass’ner Städte:

Doch geben selbst die Professoren

all die Kenntnisse verloren,

die uns auf Platten und Platinen

zahlloser Rechenmaschinen

auf ewig sicher erschienen:

Keine Spur mehr von ihnen!

 

Und speichern wir auch heute Massen

und senden gigabreit Gedanken,

die wir lückenlos erfassen

in digitalen Datenbanken –

Lass zwei Jahrhunderte verrinnen:

Man wird, erscheint dies auch verwegen,

aus purem Mangel an Belegen

sich unsereiner nicht entsinnen.

 

Und nochmals zwei-, dreitausend Lenze,

sofern die Menschheit so lang währt –

wird unsre Ära dann in Gänze

zur Phantomzeit erklärt?

Ein kalendarischer Verzähler,

nur ein rechnerischer Fehler?

Tröstlich ist: Wen man vergisst,

der wird auch nicht vermisst.



(Holger Saarmann)

© by Holger Saarmann, April 2017