Der gegenwärtige Zustand unseres Folkloretanzes. (Stand 7.11.2020) Herwig Milde
Der gegenwärtige Zustand unseres Folkloretanzes. (Stand 7.11.2020)
Kurzfassung eines Artikels im Internetmagazin Tanzrichtung
Erstens: Was wird getanzt?
Bei den Themen der Veranstaltungen scheint es keine langfristigen Trends zu Veränderungen zu geben. Nach wie vor laden die meisten Veranstalter jahraus, jahrein dieselben Tanzlehrer ein. Das Haide!-INFO (Folkloretanzterminkalender für den Südwesten) meldete 2019: 20 % griechisch, 31 % gemischte Programme, 14 % bulgarisch, rumänisch 4 %, der Rest weniger; ungarisch: Null. Die ungarischen Tänze erforden gründliches und ausdauerndes Üben; das schreckt heute viele, die gerne tanzen würden, ab. So steht der „Bal Folk” mit 36 % der Angebote an erster Stelle, das Balkantanzhaus macht 12 % aus. Die Anzahl aller Angebote der letzten zehn Jahre im Südwesten schwankt allerdings beträchtlich zwischen 135 (2010) und 222 (2014). Ab 2014 nimmt ihre Zahl kontinuierlich ab (2019: 160).
Tanz im Internet
Unter Corona-Bedingungen wird in Deutschland alles abgesagt. Dagegen melden Dutzende Veranstalter in den USA wöchentlich mehrere online-Folkloretanzangebote (die man auch von hier aus wahrnehmen kann).
Die Zahl und auch oft der Zustand der Folkloretanzwebseiten in D läßt ziemlich viel Luft nach oben. Deren ästhetische Anmutung reicht von schick bis achtziger Jahre. Im Webauftritt einer süddeutschen Tanzgruppe z.B. steht unter „Aktuelles”: zuletzt aktualisiert vor sieben Monaten – ist das noch „aktuell”? Ein süddeutscher Tanz-Landesverband schreibt zwar vollmundig:
„Der Landesverband Tanz […] setzt sich für die Förderung und Pflege der verschiedenen Bereiche des Tanzes ein. Besondere Aufgaben sind […] Durchführung von Seminaren und Tanzlehrgängen” …
Ankündigungen von „Seminaren und Tanzlehrgängen” sucht man dort allerdings vergeblich, und zwar seit vielen Jahren. Andere Landesverbände machen es vor: Auf ihren Webseiten findet man Kursprogramme, darin allerdings ausschließlich die von ihnen selbst veranstalteten. Eine umfassende Darstellung aller Folkloretanztermine im Land „ohne Ansehen der Person“ gibt’s schlichtweg nicht, vom Haide!-INFO abgesehen. Alle schreiben sich aber „die Förderung und Pflege der verschiedenen Bereiche des Tanzes” auf die Fahnen. Da wäre doch Bündelung und Kommunikation aller verfügbaren Informationen das Mindeste.
Wer tanzt?
Schon lange ist von „Überalterung” unserer Folkloretanzszene die Rede. Vor einigen Jahren habe ich bei einem großen Tanzfest fotografiert und dann die Bilder daraufhin genauer angeschaut. Mein Fazit war: In mindestens zehn Jahren wird unsere Folkloretanzszene wie die Alpengletscher abgeschmolzen sein bis auf einen kümmerlichen Rest, aus Altersgründen. Wer aber das Karlsruher Balkantanzhaus regelmäßig besucht, kann beobachten, daß dauernd Neue dazukommen, und zwar aus allen Altersgruppen. Auch Junge. Auch Männer. Man staunt …
Die „Bal-Folk”-Szene nimmt eine Sonderstellung ein; sie hat infolge ihres niederschwelligeren Formats als Mitmachtanz-Angebot nicht die Nachwuchsprobleme des „Balkantanzes” – siehe oben.
Vernetzung, Kooperation, Förderung?
Mangelnde Vernetzung und Kooperation zwischen den Gruppen fällt hier und da auch auf: Jedes Grüppchen kocht sein eigenes Süppchen und macht dem anderen Grüppchen womöglich noch Konkurrenz, indem z.B. in einer mittelgroßen Stadt zwei griechische Wochenenden am selben Datum angeboten werden.
Für gut etablierte Folkloreveranstaltungen, die auch öffentlich gefördert werden, gibt es etliche Beispiele, z.B. das Rudolstadt-Festival (vormals Tanz- und Folk-Fest), die Folkloria Karlsruhe (dieses Jahr Corona-bedingt „VollGloria„), das Erlanger Tanzhaus, alle mit kommunalen, Landes- und Sponsorengeldern finanziert. Wir dürfen nicht vergessen, daß laufende Folkloretanzkurse an den Volkshochschulen öffentlich gefördert sind. Auch die in kirchlichen Räumen angesiedelten Gruppen sind dazuzurechnen.
Aber öffentliche Gelder nützen nichts, wenn nicht entschlossene Persönlichkeiten mit genug Initiative und Zeit ein solches Projekt anpacken. Dazu würde ich z.B. auch Heidi Zieger (Oldenburg) rechnen, die meines Wissens völlig ohne Bezuschussung auskommt, sich aber auf den Enthusiasmus ihrer Tänzerinnen stützen kann, seit 35 Jahren. Das Tanzhaus Karlsruhe ruht ebenfalls auf den Schultern einer ganzen Reihe von tatkräftig Engagierten.
Herwig Milde, Freiburg i.Br.
WEITERE AKTIVITÄTEN
Die rege Volkstanzszene in Berlin – Ost ist wohl der größte „Pool“ fürs Folktanzen in Deutschland.
Vom Tanzhaus in Erlangen hen wir lange nichts gehört.
Die Deutschtanzszene hat ihre Schwerpunkte in Baden-Württemberg und Bayern.
Hinzu kommen rege Aktivitäten in manchen Kleinstädten und Regionen, die teils sogar überregional ausstrahlen.