Dirk Liesemer: Café Größenwahn, 1890 – 1915. Als in den Kaffeehäusern die Welt neu erfunden wurde. Hoffmann & Campe, 384 S., 25,– www.hoffmann-und-campe.de (GH)

Café_G.jpeg

Kaffeehausbuch

Kaffeehäuser, um 1900, wer möchte keine Zeitreise dahin machen?

#Die LiteratInnen sitzen da rum  und intrigieren, und wer nicht dazu gehört, redet von Café Größenwahn, und von dreien davon handelt dieses schöne Buch. Wobei, nichts ist perfekt und einiges hier ärgert, das mal zuerst.

Natürlich fehlt immer irgendwer, aber ausgerechnet eine Kaffeehausgröße wie Roda Roda nicht zu zitieren – dabei wird er ja sogar beschrieben, wie er in roter Weste beim Schach sitzt, nur sein Name wird nicht erwähnt. Er gehörte zur Liebhaberschar der göttlichen und heute noch von vielen heiß verehrten Adele Sandrock, die im Buch eine große Rolle spielt, bei den biographischen Notizen am Ende kommt sie allerdings nicht vor, die sind fast ausschließlich Männern vorbehalten (20:4).

Wir wollen nicht gleich Sexismus unterstellen, aber auch ein Kapitel gibt zu denken, wo es um die Frau des Verlegers Korfiz Holm geht. So wird sie nämlich konsequent genannt, die „Frau von Korfiz Holm.“ Sie hatte einen Namen, der leicht zu ergoogeln ist (Augusta Zimmermann, genannt Annie).

Leicht zu ergoogeln sind auch die Namen der Inuit, die am 6. April 1909 zusammen mit Matthew Henson und Robert F. Peary den Nordpol erreichen. Da auch die im Buch verschwiegen werden, liefern wir sie hier nach: Iggiánguak, Siglduk, Odák und Uvkuják (das hat nichts mit den Kaffeehäusern  zu tun, aber es wird nun mal im Buch erwähnt und es wirkt doch arg eurozentristisch, nur die Namen der Herrenmenschen zu nennen).

Von solchen Peinlichkeiten abgesehen aber ist es ein wunderbares Buch.

Die Kaffeehausatmosphäre der vorvorigen Jahrhundertwende wird lebendig, wir erleben sie in Wien, Berlin und München.

Wer geht hin, was wird konsumiert, wer intrigiert gegen wen, wer schleppt wen ab, welche Literatur entsteht, und immer wieder staunen wir über Bekanntes, Lieder, die wir heute noch kennen und die erstmals im aktuellen Café Größenwahn vorgetragen wurden.

Erich Mühsams Lied vom Lampenputzer ist da nur ein Beispiel. Wer hätte nicht gern so ein Kaffeehaus in der Nähe … aber wir sind nun mal zu spät geboren und müssen uns mit diesem wunderbaren Buch trösten.

Dirk Liesemer: Café Größenwahn, 1890 – 1915. Als in den Kaffeehäusern die Welt neu erfunden wurde. Hoffmann & Campe, 384 S., 25,– www.hoffmann-und-campe.de (GH)