Live Sessions – öffentlich und online
Nachdem es in den vergangenen Ausgaben um Künstler- und Veranstalter/-innen in der Corona-Zeit
ging, stehen in diesem Artikel die Laien im Mittelpunkt. Wie kann man es schaffen, virtuell das zu tun,
was so vielen fehlt: mit anderen zusammen musizieren? Als Videokonferenz mit WLAN wegen der
Zeitverzögerung jedenfalls nur eingeschränkt. Wenn man gleichzeitig die anderen hören und selbst
gehört werden möchte, braucht es eine Internetverbindung über Kabel und anderes Zubehör.
Es geht aber auch anders, wenn man beim Spielen nicht selbst von den anderen zu hören ist. Dann
genügen ein Gerät mit Kamera und Mikro sowie das Programm zoom.
Gudrun Walther und Jürgen Treyz (Cara, Deitsch) haben eine im Januar eine Reihe ins Leben gerufen,
bei der sie selbst als Gastgeber zu hören sind:
„Wir alle vermissen derzeit neben der Möglichkeit Konzerte zu geben und zu besuchen das soziale
Miteinander beim gemeinsamen Musik machen. Durch die Lockdown-Maßnahmen und Kontakt-
beschränkungen (die wir übrigens für absolut richtig und notwendig halten!) sind Sessions derzeit weder
in Kneipen noch im privaten Rahmen möglich. Und ein Ende dieser Situation ist leider nicht abzusehen.
Darum haben wir mit „Tunes From Home“ eine regelmäßige Session im Wochentakt, immer montags
um 20:00 Uhr ins Leben gerufen.
Das Konzept ist simpel, wir spielen bei uns zu Hause, im Moment nur zu zweit, sobald es die
Bestimmungen erlauben aber auch mit Gästen, oder auch mal im Co-Hosting Format mit Kollegen und
Freunden aus aller Welt, und übertragen dies in einer Zoom-Konferenz zu euch. Ihr könnt zu Hause
mitspielen, mittanzen oder zuhören.
Die Sessions werden unterschiedliche Schwierigkeitsgrade haben (vor allem was das Tempo angeht) –
im Moment alternieren wir zwischen irischen Sessions im „normalen“ flotten Tempo und Slow Sessions,
bei denen wir die Stücke erst ganz langsam vorstellen und sie dann gemeinsam in gemäßigten Tempo
spielen. Für die Zukunft planen wir zusätzlich Sessions mit unterschiedlichem Schwerpunkt, z.B. mit
traditioneller deutscher Tanzmusik, mit Bad Folk-Stücken oder mit gemischten Tunes aus ganz Europa.“
Details und Termine finden sich auf dieser Webseite. Die Gäste melden sich vorher an und geben eine
kleine Spende. Dann können sie daheim mitspielen und bekommen vorher sogar die Noten in pdf per
Download-Link. Mit dem Newsletter bleibt man auf dem Laufenden.
Schon beim 2. Mal war das Treffen mit 100 Leuten ausgebucht. Ich habe es getestet und viel Spaß am
gemeinsamen Spielen gehabt. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, mit Profis und schwungvoller
Gitarrenbegleitung sorgfältig zusammengestellte Jigs, Reels und Hornpipes zu spielen? Es hilft bei der
Menge des weniger bekannten Materials allerdings, vorher zu üben und zügig Noten lesen zu können.
Wer auswendig spielt, kann auf dem Bildschirm 25 Mitmusizierende beobachten. Außerdem macht es
nichts, wenn man mal was „vergeigt“, denn die Mikrofone sind regulär stumm geschaltet.
Das soll aber nicht den persönlichen Austausch hindern. Gudrun Walther: „Unser Format ist ganz bewusst
live und als Zoom-Meeting angelegt, so dass die Teilnehmer sich auch sehen und sich austauschen können.
Mittlerweile machen wir es so, dass wir Breakout-Räume anlegen, die wir nach dem Musikmachen öffnen,
wo man sich in kleinerem Kreise unterhalten kann und Bekannte treffen, oder neue Leute kennenlernen.
Funktioniert prima! So haben die Sessions auch wirklich einen sozialen Aspekt, den auch eine normale
Session hat. Das war uns sehr wichtig, denn unser Format soll nicht nur ein „Lernangebot“ sein, und auch
nicht nur ein Weg, wie wir als Musiker im Lockdown arbeiten und Geld verdienen können, sondern es soll
auch dabei helfen, dass wir uns alle nicht aus den Augen verlieren, und das manch einsamer Musikant
wenigstens einmal in der Woche ‚auspackt‘ und sich vernetzt fühlt mit der Szene…“
Vermutlich gibt es eine Menge Gruppen, die sich intern zum online-Musizieren treffen, aber die
entsprechenden öffentlichen Angebote sind dünn gesät. Deshalb habe ich mich auch in England
umgeschaut. Facebook war da sehr hilfreich.
So gelangte ich im Januar zu einem englischen Festival, das als Fortsetzung des Gewohnten zwei
Sessions anbot. Auch hier gab es ein umfangreiches Notenbuch. Es wurde gefragt, wer daraus etwas
vorspielen möchte. Ein Administrator suchte dann die Noten heraus und blendete sie am Bildschirm
ein, sodass die Teilnehmenden mitspielen konnten
ohne umblättern zu müssen. Das lief nicht immer
ganz glatt, aber dass die Noten sich auf dem
Bildschirm weiterschieben, je nachdem wo man ist,
wäre sehr hilfreich.
Durch einen Tipp im dortigen Chat bin ich dann an
Phoenixfolk geraten. Der Link steht auf der Webseite.
Dienstags ist Singaround, wo jeder der mag, nach der
Reihe ein Stück zum besten gibt, Montag und
Donnerstag Session, mal in gemäßigtem, mal in
schnellerem Tempo. Zu hören sind auch hier Geige
und Gitarre. Da die Aktiven meist etwas älter sind,
wird es nicht zu hektisch. Für den flüssigen Ablauf hilft
es, dass die Sets nacheinander aus dem eigenen
80-seitigen Notenbuch gespielt werden, auch hier mit Geige und Gitarre zum Hören. Der Club residiert im
Nordosten Englands, der Heimat der Northumbrian Small Pipes. So hat das Notenbuch einen
entsprechenden Schwerpunkt, was eine angenehme Abwechslung bietet. Ein weiteres Angebot des
Phoenix-Clubs sind die käuflichen Session-Videos. Damit ist man unabhängig und kann jederzeit mithilfe
der Noten mitspielen.
Wenn man überlegt, wie einfach so ein zoom-Treffen einzurichten ist, verwundert es, dass es zwar
Wohnzimmerkonzerte en masse, aber wenig Mitspielangebote gibt. Es gibt sicher eine Menge Leute wie
mich, die gerne für eine Hobby-Session bei PayPal etwas „in den Hut“ werfen.
Mich haben die Möglichkeiten, online zusammenzuspielen, jedenfalls motiviert, wieder öfter zum
Instrument zu greifen. Es sieht ja leider so aus, dass wir noch eine Weile Gelegenheit haben werden,
solche Online-Angebote zu erproben…(küc)