ALARM – BEITRG ZUR LAGE DER VERANSTALTER
Gudrun Walther: Veranstaltungsszene von zweiter Absagenwelle überrollt
von Anne Gladitz, Sang & Klang-Festival (gekürzt)
Seit dem Ende des vollständigen Veranstaltungsverbots am 30. Juni sind drei Monate vergangen. Veranstaltungsorte, die die strengen Hygiene- und Abstandsauflagen gewährleisten können, haben den Vorstellungsbetrieb auf Sparflamme wieder aufgenommen. Es könnte der Eindruck entstehen, dass der Veranstaltungssektor allmählich auf dem Weg zur Normalität sei. Dass die Realität davon nicht weiter entfernt sein könnte, darauf machte am 9. September das Aktionsbündnis #Alarmstufe Rot mit einer Großdemonstration zum Regierungsviertel in Berlin aufmerksam. 15.000 Teilnehmer, unter ihnen prominente Redner wie Herbert Grönemeyer, hatten vor allem vor dem drohenden wirtschaftlichen Ruin der Branche gewarnt. Dass hinter den beeindruckenden Zahlen, die das Bündnis auf seiner Website www.alarmstuferot.org veröffentlicht – es handele sich immerhin um den sechstgrößten Wirtschaftssektor mit 130 Milliarden Euro Umsatz und über einer Million Beschäftigter – unzählige persönliche Existenzkrisen stehen, lässt sich leicht erahnen.
Als Musikerin (Cara, Deitsch) und Konzertagenturbetreiberin ist Gudrun Walther doppelt betroffen. 44 Gigs hat ihre eigene Band durch die Absagenwelle bislang verloren, 27 Gigs der von ihr gebuchten Bands wurden in den letzten Monaten gecancelt. Dank einiger krisenfester, kreativer Veranstalter und dem vom Land Baden-Württemberg geförderten Programm „Kultur Sommer 2020“ kamen für Cara und einige der vermittelten Bands wenigstens einzelne kleinere Open Air-Gigs hinzu, die jedoch den Verlust teilweise ganzer Tourneen nicht auffangen konnten.
Die Open Air-Saison, die mit den wenigen Ersatzgigs dem Alltag wieder so etwas wie Normalität verliehen hat, liegt nun hinter ihnen, ihr jetziger Alltag, so Walther, sehe anders aus. Statt, wie sonst im September üblich, in die Zukunft zu planen und Programme für das Folgejahr festzuzurren, verwaltet Gudrun Walther nun Absagen. Diese betreffen die bislang noch stehenden Herbsttourneen und bereits die ersten Frühjahrstermine 2021. Unabhängigen Veranstaltern, die zu hundert Prozent auf Eintrittsgelder angewiesen sind, ist durch die Einbußen aufgrund der Abstandsregeln der Konzertbetrieb teilweise unmöglich gemacht worden. Zwar seien für diese Betriebe nun Fördergelder in Aussicht gestellt, deren Beantragung jedoch kompliziert sei, da nicht jeder Veranstalter die dafür geforderten Voraussetzungen erfülle. Auch viele engagierte ehrenamtliche Kulturinitiativen können das Ausrichten von Konzerten nicht verantworten, wenn ein zu großer Anteil der aktiven Helfer der Risikogruppe angehört.
Die dritte Gruppe sind die städtischen Veranstalter wie Kulturämter. Diese können weiter Konzerte ausrichten, da sie nicht unbedingt darauf angewiesen sind, schwarze Zahlen zu schreiben. „Dies führt dazu, dass Tourneepläne, die ursprünglich chronologisch und geografisch effektiv gebucht waren, mittlerweile vollkommen zerschossen sind“, so Walther. „Bei einer Absagenquote von 50 Prozent sind manche Tourneen vor allem für Künstler aus dem Ausland wirtschaftlich nicht mehr haltbar, da die Hotelkosten für die zahlreichen entstandenen Lückentage in keinem Verhältnis mehr zu den Gagen für die verbleibenden Gigs stehen – eine perfide Situation, wenn man dann als Agentur selbst die wenigen noch verbleibenden Konzerte absagen muss.“ Für die abgesagten Termine versuche sie dann Ersatzkünstler zu schicken.
Für dieses unbezahlte Krisenmanagement rotiert Gudrun Walther nun seit mehreren Monaten, teilweise bis zur Erschöpfung. Jetzt vermelden die ersten Festivals für den Sommer 2021, dass sie womöglich nicht stattfinden können.
Mittlerweile setzt die Musikerin fast ausschließlich auf derartige Selbsthilfe: „Am Anfang habe ich noch viele Petitionen zur Rettung der Kulturbranche unterschrieben und E-Mails an Abgeordnete geschrieben, aber irgendwann wird man dessen müde, weil einfach so wenig Resonanz seitens der Politik kommt, abgesehen vom Verweis auf Grundsicherung. Es ist für mich als Musikerin aber keine Lösung, meine Instrumente verkaufen zu müssen, um Grundsicherung zu erhalten, oder dass ich, wenn ich diese bezöge, vereinzelt reinkommende Auftrittsangebote nicht annehmen kann, weil ich nichts dazuverdienen darf. Dieses Angebot empfinde ich schlichtweg als Affront.“
Bis 2022, so rechnet Gudrun Walther, wird es wohl mindestens dauern, bis in der Konzertszene wieder so etwas wie Normalität einkehrt. „Normalerweise würde ich jetzt Tourneen für den Zeitraum bis Frühjahr 2022 buchen, das ist jedoch der Zeitraum, in den die Veranstalter jetzt alle Veranstaltungen aus dem Jahr 2020 verschoben haben. Daher gibt es dort keine freien Termine mehr. Das heißt, alle noch nicht gebuchten Gigs und auch solche, die man bräuchte, um die besagten Lücken in den Tourneen zu füllen, müssen erst mal auf Eis gelegt werden. Wenn wir großes Glück haben, sind bis Herbst 2022 die gröbsten Trümmer der Krise beseitigt.“